Gantenbein

"Das kommt so: Martha und Daniel Gantenbein machen seit 1982 Wein in Fläsch, in der sogenannten Bündner Herrschaft. Die Bündner Herrschaft ist in der Schweiz etwa so bekannt wie die Wachau in Österreich (…) und die ursprünglich ungelernten Gantenbeins haben es geschafft, zum Synonym für diese außergewöhnlich hoch gelegene Weinlandschaft zu werden.

Das Factsheet: Die Bündner Herrschaft ist die nördlichste Ecke des Kantons Graubünden, das sogenannte „Tor zum Bündnerland“. Ihr Zentrum heißt Maienfeld. Wenn du als Tourist hier aufschlägst, gibt es genau drei Möglichkeiten, wonach du suchst: die Gantenbeins, das

Dreisternrestaurant von Andreas Caminada oder deine in der Schweiz verschollene Kindheit. Denn in der Bündner Herrschaft hat die Schriftstellerin Johanna Spyri ihre „Heidi“ leben lassen. Du erinnerst dich, Heidi: „Deine Welt sind die Berge!“

(…)

Die Gantenbeins waren mir nicht ganz unbekannt. Roland Velich hatte sie einmal zu einer legendären Weinverkostung in den Käsekeller von Egg im Bregenzerwald eingeladen, wo sie bei der After-Show-Party ernsthaft unter Beweis stellten, dass sie nicht nur herrlich Wein machen, sondern genauso herrlich Wein trinken können. Entsprechend herrlich geriet der Abend, und ich hatte vor, diesbezüglich Grundlagenforschung zu betreiben.

Das Weingut der Gantenbeins befindet sich am Rand von Fläsch. Es ist nicht zu übersehen, es hat sich von einem kleinen Produktionssitz zu einem veritabeln Landmark-Building gemausert, das die Architekten Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner 2008 zugebaut haben.

Der Ziegelbau ist ein Prototyp, den ein Computer berechnet und ein Roboter gebaut hat. So konnten an der Fassade Figuren und im Raum Lichtspiele entstehen, gleichzeitig sorgt der Lichtfilter für konstante Temperaturen und Sonnenlichtströme im Inneren. Die Referenzgröße für die Weine der Gantenbeins ist das Burgund. „Wir lieben“, sagen sie, „die Mineralität großer Chablis, die fruchtige, schmelzige Kraft weißer Burgunder und unseren Chardonnay, der beides vereint.“ Diese Liebe äußerte sich unter anderem darin, dass die Gantenbeins, die in den achtziger Jahren auf den Rebbergen von Marthas Eltern ihre ersten Weine gemacht hatten, Mitte der Neunziger Jahre Klone aus Frankreich einsetzten und sich endgültig von der etwas rustikaleren Methode verabschiedeten, wie in diesem privilegierten Landstrich landläufig Wein gemacht wurde.

Auch der Pinot noir folgt diesem Muster, sucht das Filigrane und die Finesse der Vorbilder von der Côte d’Or. Gutes Stichwort: Neben den inzwischen einigermaßen heiligmäßig präsentierten eigenen Weinen haben die Gantenbeins in ihrem privaten Keller eine Sammlung aus dieser Region des Burgunds, für die sich auch die Trüffelschweine der großen Weinhandelsfirmen interessieren würden – wenn sie eine Chance hätten, an die Schätze heranzukommen.

Aber die Gantenbeins sammeln nicht der Vollständigkeit halber, sondern um zu trinken. Wollten sie

nämlich nur ihre eigenen Weine verzehren, hätten sie möglicherweise nicht genug. Sie produzieren auf einem Minimum an Fläche. Draußen auf dem Weinberg herrscht großartige Sicht auf die Flanken des Rheintals, ein Muster, das vom Schnee der Gipfelfelder über die Herbstfarben des Hochwalds in das Monochrome der Ebene führt. Fünf Hektar gehören dem Pinot noir, ein Hektar dem Chardonnay. Auf 20 Ar wird schließlich noch ein Minimum an Riesling, Charakteristik Mosel, nicht Wachau, gekeltert. Die High-End-Weine bekommen schließlich die berühmte unprätentiöse Verpackung. Nur ein kleines Etikett in Blau (Pinot) oder Gelb (Chardonnay), auf dem der handgeschriebene Schriftzug mit dem bekannten Namen und die nötigsten Informationen stehen, schmückt die dickwandige Burgunderflasche. Alles andere darf als bekannt vorausgesetzt werden."

 

Christian Seiler in A LA CARTE (04/2014) "Heidiland - Trinken und essen im letzten Winkel der Schweiz. Idyllisch – und Weltklasse."